Selbständig als Friseurunternehmern oder angestellt?
Die beruflichen Chancen für angestellte Meisterinnen und Meister
Das ist eine Schlüsselfrage für jeden Jungmeister. Mit besonderer Dringlichkeit stellt sich die Frage für die Frauen, bei denen Familiengründung und berufliche Existenzgründung oft zusammenfallen. Die beruflichen Chancen für angestellte Meisterinnen und Meister steigen!
Einerseits durch den zunehmenden Anteil von Filialbetrieben, die nach der geltenden Handwerksordnung zumindest einen Meister beschäftigen müssen, andererseits durch größere Einzelunternehmen, die zunehmend auch Meister beschäftigen. Das gilt zumindest, solange es in Deutschland den großen Befähigungsnachweis gibt (Meisterbrief als Voraussetzung für die Geschäftseröffnung). Ein großes Problem der Branche ist, daß das Durchschnittsalter der Kunden und das der Mitarbeiter immer mehr auseinanderdriftet. Deshalb steigen die Chancen von Mitarbeitern, die jenseits der 30 durch menschliche Reife und berufliche Qualifikation anziehend auf die Kunden wirken, die auch über 30 sind. Eine der schlimmsten Friseursünden ist es, von älteren Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern zu reden, wenn die über 30 sind. Ich kenne einige angestellte Friseurinnen über 50, die mit märchenhaften Umsätzen mehr Geld verdienen als ein großer Teil der selbständigen Friseure. Es häufen sich auch die Fälle, daß Friseure und Friseurinnen ihre Selbständigkeit aufgeben (müssen) und wieder als Angestellte arbeiten. !n einem gut geführten Unternehmen können engagierte Fachkönner heutzutage 2.800,- EURO brutto im Monat verdienen. Bei 12,5 Monatsgehältern sind das 35.000,- EURO im Jahr. Um als Selbständiger einen gleichen Stand bei den Versicherungen zu haben, sind dafür fast 55.000,- EURO Gewinn vor Steuern notwendig, um das gleiche Nettoeinkommen wie ein Angestellter zu haben. Über eines sollten sich die Jungmeister klar sein: Für den Meistertitel allein zahlt niemand etwas, wenn der nicht mit meisterlichen Leistungen bestätigt wird. Der genannte Bruttolohn ist nur als ieistungsbezogener Lohn möglich. Leistung kann dabei hand¬werkliche Dienstleistung oder Managementleistung sein. Das ist Steuer- und abgabenehrlich in einem kleinen Betrieb selbständig kaum noch zu erreichen. Wenn er Ehepartner in einem anderen Beruf gut verdient, gibt es steuerlich viele "Gestaltungsmöglichkeiten" und der Betrieb kann (auf dem Papier) praktisch ohne steuerlichen Gewinn laufen. Das ist dann aber eine "Schönwetterveranstaltung", vor der ich eindringlich warne. Wenn z.B. die Ehe zerbricht, sind die finanziellen Folgen dramatisch. Die Praxis hat schon mehrfach gezeigt, daß der Expartner dann einen angemessenen Unterhalt und Versorgungsausgleich verweigert, weil er die wahren Einkünfte aus der Vergangenheit kennt. Ich kann jeder Jungmeisterin und jedem Jungmeister nur raten, ihr Geschäft finanziell so zu führen, als wenn es kein weiteres Einkommen gäbe.
Mein konkreter Rat an junge Friseure ist, ihrem bisherigen Chef -eventuell schon vor Ablegung der Meisterprüfung - das langfristige Interesse an einer eventuellen Übernahme des Geschäftes zu signalisieren. Übrigens auch dann, wenn der Chef darauf spekuliert, daß eines seiner Kinder das Geschäft eines Tages übernimmt. Zu oft habe ich erlebt, daß der Chef oder die Chefin zu lange darauf vertraut haben, daß der Laden in der Familie bleibt und damit mögliche Käufer außerhalb der Familie im eigenen Mitarbeiterstamm verprellt wurden.
In diesem Zusammenhang auch ein Wort zur Mitarbeit eines jungen Meisters bzw. einer jungen Meisterin im elterlichen Betrieb. Auch hier ist mein konkreter Rat: Die Sache wie unter "Fremden" regeln. Also ein Arbeitsvertrag, möglichst mit klaren Kompetenzregelungen und einem angemessenen Entgelt, das auch familienfremden Mitarbeitern in der gleichen Situation gezahlt wird. Sowohl wesentlich mehr als auch wesentlich weniger ist, aber aus unterschiedlichen Gründen, problematisch.
Zum Thema "angestellt" gehört auch die Tätigkeit als fachlicher Mitarbeiter bei einer Friseurbedarfsfirma. Da wird in der Regel die erfolgreich abgelegte Meisterprüfung vorausgesetzt. Die Firmen stellen hohe Anforderungen, nicht nur an das Können, sondern auch an die Einsatzbereitschaft. Zu meiner Zeit bei Wella waren die fachlichen Mitarbeiter fast alles Männer. Das hat sich bei allen Firmen grundlegend gewandelt. Nicht nur deshalb, weil die männlichen Friseure rar geworden sind, sondern auch weil sich die Frauen im Friseurhandwerk von der auch heute in vielen Teilen der Wirtschaft üblichen Rollenverteilung: "Chef ist Mann, Assistent ist Frau" erfolgreich gelöst haben. Im Friseurhandwerk gilt - wie kaum in einer anderen Branche - die berufliche Gleichberechtigung der Frau, und zwar in der Praxis und nicht nur in Sonntagsreden.
Die Lieferfirmen sind wegen des erheblichen Ausbildungsaufwandes an längerfristiger Verpflichtung ihrer fachlichen Mitarbeiter interessiert. Weil sie von Anfang an ordentliche Gehälter zahlen, ist es zunächst eine Investition in die Zukunft, die sich nicht rechnet, wenn der fachliche Mitarbeiter z.B. nach einem halben Jahr das Handtuch wirft. Andererseits bedaure ich, daß es nicht klare Konzepte für etwas gibt, was bei der Bundeswehr die "Zeitsoldaten" sind, also eine Verpflichtung, z.B. für fünf Jahre mit der klaren Perspektive der späteren Selbständigkeit, bei der die Zulieferfirma dann aufgrund ihrer Stellung im Markt hervorragende Starthilfe geben kann. Immer wieder habe ich beobachtet, daß ehemalige fachliche Mitar-beiter der Zulieferwirtschaft hervorragend gestartet sind, weil sie vorher schon sehr viel durch den Umgang mit den Kunden gelernt haben, wie es gemacht, aber auch, wie es besser nicht gemacht wird. Auf der nächsten Seite sehen Sie ein Profil für eine Unternehmerpersönlichkeit. Schätzen Sie sich selber ein. Wenn die Unterschiede zwischen Soll-Profil und Ist-Profil in der Summe nicht allzu groß sind, sollten Sie das Unternehmerdasein wagen. Sind sie dagegen groß, empfehle ich zunächst ein Beschäftigungsverhältnis als angestellter Friseur.
Letztendlich ist aber die Befähigung zum Unternehmer nicht im Voraus mit Sicherheit zu testen. Meine Erfahrung ist: Ins kalte Wasser geworfen, überraschen sich junge Existenzgründer selber und andere Friseure, vor allem ihre ehemaligen Chefs, durch erstaunlich cleveres unternehmerisches Verhalten.